Wir haben diesen Schatz aber in irdenen Gefässen, damit die Überfülle der Kraft Gott gehört und nicht von uns stammt.
8 In allem sind wir bedrängt, aber nicht in die Enge getrieben, ratlos, aber nicht verzweifelt,
9 verfolgt, aber nicht verlassen, zu Boden geworfen, aber nicht am Boden zerstört.
10 Allezeit tragen wir das Sterben Jesu an unserem Leib, damit auch das Leben Jesu an unserem Leib offenbar werde.
2. Korinther 4,7-10 (Zürcher Bibelübersetzung)
Es gibt Jahre, da verlangt die Passionszeit von uns, dass wir den weitverbreiteten kulturellen Optimismus und ein falsches Wohlbefinden überwinden, um die Welt so zu sehen wie sie aus der Perspektive der Armen und Ausgegrenzten wirklich ist. In manchen Jahren mussten wir uns anstrengen, um die harsche Wirklichkeit an uns heran zu lassen, damit wir beim Ergreifen der Auferstehung zugleich begreifen, dass dies nur Sinn macht auf dem Hintergrund der reellen Macht des Todes, die echte menschliche Leiber zerstört und echte Seelen verkrüppelt und unseren Planeten in echte Gefahr bringt.
Wir sind uns wahrscheinlich darin einig, dass dieses Jahr anders ist. Dies ist ein deutlicher, wenn auch verwirrender Augenblick im Leben dieser Welt, wo die Macht des Todes, Zerstörung, Rassismus, Sexismus, Gewalt, Armut, Vertreibung von Menschen und Zerstörung der Umwelt beinahe für uns alle und jederzeit erfahrbar sind. Wir sehen uns mit humanitären und ökologischen Krisen von beispiellosem Ausmaß konfrontiert. Alte Paradigmen und frühere Konzepte geben uns keine Antworten mehr und scheinen selber Teil des Problems geworden zu sein.
In meinem Amt als Generalsekretär der Weltgemeinschaft Reformierter Kirchen habe ich gemeinsam mit dem Präsidenten Jerry Pillay, mit meinen anderen Kollegen, den Amtsträgern, dem Exekutivausschuss und den Regionalräten deutlich gemacht, dass die große Mehrheit unserer Mitgliedskirchen auf der brutalen und bitteren Schneidekante dieser turbulenten Realität leben. Insofern brauchen wir uns gar nicht besonders zu bemühen, um in der Passionszeit an das Leiden der Armen und Ausgegrenzten erinnert zu werden oder in unserem Glauben an Menschenrechte und Gerechtigkeit erschüttert zu sein. Wir sind täglich mit diesen Realitäten im großen Maßstab konfrontiert.
Meine letzten Besuchsreisen haben mich nach Indien, Kolumbien, Nigeria, Taiwan und Libanon geführt. An vielen Orten war die Wirklichkeit gewalttätig zerschlagener Leiber offensichtlich. In unserem Leib tragen wir die Leiden der Opfer von Gewalt wie Jesus eines war. Frauen werden Opfer von sexueller Gewalt. Zunehmende Armut und Hunger richten unaussprechliche Verwüstung an. Verschiedene Kräfte vertreiben Menschen aus ihren Häusern und Ländern. Die Wahrheit, die der Glaube offenbart, ist die einfache Tatsache, dass unsere Kirchen in der Wirklichkeit dieser Welt tief verwurzelt sind. Unsere Gegenwart ist ein Skandal und in vielfacher Weise unerträglich.
Hier in Hannover, in Deutschland, habe ich einen Kollegen, der mich immer auffordert Hoffnungsvolles und Ermutigendes zu schreiben. Und natürlich ist das große Geschenk dieser Besuche und der Begleitung unserer Mitgliedskirchen in diesen Zeiten, dass es einfach keinen Abstand gibt zwischen dem Ergreifen der Wirklichkeit von Tod und Gebrochenheit, die wir, wie Paulus schreibt „Allezeit tragen an unserem Leib“ durch den Tod Jesu – und das ist die Realität unserer heutigen Zeit, welche die „Überfülle der Kraft“ bezeugt, die „Gott gehört und nicht von uns stammt.“
Das kräftige Zeugnis unserer Mitgliedskirchen in ihrem jeweiligen Kontext besteht darin, dass sie die evangelische Wahrheit von 2. Korinther 4 als eine ungebrochene ganzheitliche Wahrheit leben:
„In allem sind wir bedrängt, JEDOCH nicht in die Enge getrieben,
ratlos, JEDOCH nicht verzweifelt,
verfolgt, JEDOCH nicht verlassen,
zu Boden geworfen, JEDOCH nicht am Boden zerstört.“
Wir sehen im Leben und Zeugnis unserer Kirche die harte und starke Wahrheit, dass indem wir die Wirklichkeit des Leidens und die zerbrochenen Leiber der Armen, der Ausgegrenzten, und die leidenden Völker und den leidenden Planeten wahrnehmen, wir zugleich den Tod Jesu umfangen, und indem wir dies tun, wird AUCH das LEBEN Jesu an unseren Leibern offenbar.
Die kräftige Wahrheit dieser Passionszeit besteht darin, dass Hoffnung uns von Gott geschenkt wird, während wir vor der Wirklichkeit von Sünde und Tod stehen und in unseren Leibern die zerbrochenen Körper und den Tod derer tragen, die leiden. JEDOCH werden die Überfülle der Kraft Gottes und das Leben Jesu AUCH durch uns sichtbar und wahr.
Jeder Besuch bei Gemeinschaften, die vom Militarismus, von religiös „gerechtfertigter“ Gewalt, von überwältigendem Rassismus, zerstörerischer Gewalt gegen Frauen geplagt werden, bringt jene unerschütterliche Wahrheit hervor, dass es bei unserem Glauben darum geht, die Wirklichkeit wahrzunehmen, JEDOCH auch das Geschenk der Hoffnung zu empfangen. Wir tragen mutig die vom Tod zerbrochenen Leiber und machen AUCH das Leben Jesu sichtbar.
Wir bereiten uns gemeinsam auf unsere Generalversammlung in Leipzig Ende Juni dieses Jahres vor. Wir greifen dabei auf die reichenhaltigen, über 500 Jahre alten reformatorischen Traditionen zurück. Wir wenden uns dieser Überfülle der Kraft Gottes zu, und in dem Gebet, das unserer Generalversammlung als Leitwort dient, rufen wir: „Lebendiger Gott, erneure und verwandle uns“, damit das Leben Jesu, das Leben der Welt, an unseren Leibern sichtbar werden möge.
Chris Ferguson
Generalsekretär